Colonia Dignidad - Aufarbeitung
Die Colonia Dignidad ist ein zentrales und kontroverses Kapitel der deutsch-chilenischen Geschichte, das aber lange Zeit weder offen diskutiert noch wissenschaftlich erforscht wurde. Erst in den letzten Jahren haben sich Dissertationen und Dokumentationen, Parlamentsdebatten und Streamingserien diesem Thema gewidmet (Literatur/Medien). Der international beachtete Fall wirft vielfältige gesellschaftlich relevante Fragen auf, die für die Diktatur- und Widerstandsforschung, die Fundamentalismus- und Sektenforschung, die Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehungen und der Diplomatie bis hin zur Traumaforschung und zum Vergleich von Erinnerungskulturen von Bedeutung sind.
In Chile waren es die Organisationen von Angehörigen der Verschwundenen und von ehemaligen politischen Gefangenen, die die Verbrechen der Colonia Dignidad immer wieder in die Öffentlichkeit brachten und unter anderem erreichten, dass das Gelände unter Denkmalschutz gestellt und eine Gedenkplakette am Kartoffelkeller, Ort der Folter von politischen Gefangenen, angebracht wurde.
Die deutsche Politik räumte eine Mitverantwortung ein. 2016 stellte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier fest: „Über viele Jahre hinweg, von den sechziger bis in die achtziger Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut – jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan.“ (Auswärtiges Amt, 2016).
Im Juni 2017 brachte eine überparteiliche Gruppe von Bundestagsabgeordneten einen Beschluss zur „Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad“ in den Bundestag ein. Darin ist die Einrichtung eines Hilfsfonds für die Opfer der ehemaligen Colonia Dignidad, die Erarbeitung eines Konzepts für einen Gedenkort und die Durchführung eines Oral History-Projekts vorgesehen (Bundestag Drucksache 18/12943). Die Auszahlungen aus dem Hilfsfonds laufen seit 2020. Das von chilenischen und deutschen Expert/innen erarbeitete Konzept für den Gedenkort wurde den Regierungen 2021 übermittelt.
Der Aufbau des Oral History-Archivs begann 2019; im März 2022 wurde es veröffentlicht. Die Erinnerungen und Einschätzungen unterschiedlicher Betroffener und Fachleute in diesem Interviewarchiv bilden eine wichtige Quellengrundlage für entsprechende Forschungen. Darüber hinaus sind sie wertvolle Zeugnisse für Bildung und Öffentlichkeit.